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Harald Oberhofer
Head of Marketing, Retresco
Kaum eine Woche vergeht, ohne dass ein neues KI-Tool, eine spektakuläre Demo oder ein vielversprechender LinkedIn-Post auftaucht, stets mit dem Anspruch: Dieses Angebot wird dein Business für immer verändern. In diesen Diskussionen fallen regelmäßig Begriffe wie AI Agents, AI Automation oder AI Workflows, doch oft werden sie missverstanden oder falsch verwendet. Was steckt hinter diesen Ankündigungen? Und welches Potenzial bieten AI Agents insbesondere für Medienhäuser, Verlage und vergleichbare Publisher?
Grundsätzlich können AI Agents weit mehr als nur „smarte Chatbots“ sein. Es handelt sich um autonome, lernfähige KI-Systeme, die Aufgaben selbstständig ausführen, Entscheidungen treffen und sich an neue Situationen anpassen können. Das Ziel: weniger manuelle Arbeit, mehr intelligente Automatisierung.
Ein AI Agent kann etwa eigenständig Informationen recherchieren, Inhalte priorisieren oder personalisierte Textvorschläge liefern, ohne dass jeder einzelne Schritt vorher definiert oder explizit programmiert werden muss. Damit ähneln sie in gewisser Weise menschlichem Entscheidungsverhalten. Allerdings sind sie sind nicht völlig unabhängig von der definierten Infrastruktur sowie den entsprechenden Regeln und Datenquellen.
Doch diese Autonomie bringt Herausforderungen mit sich:
Trotzdem gelten AI Agents als die nächste Evolutionsstufe intelligenter Prozesssteuerung, nicht zuletzt im Medien- und Verlagskontext.
AI Automation steht dagegen für eine regelbasierte und zuverlässige Abarbeitung klar definierter Prozesse. Nach dem Prinzip „Wenn A passiert, dann mach B“ übernehmen automatisierte KI-Systeme Aufgaben wie die Textformatierung, die Erstellung von Metadaten oder inhaltliche Kategorisierungen. Solche Lösungen sind effizient, stabil und ressourcenschonend. Sie benötigen kaum menschliche Kontrolle und eignen sich ideal für standardisierte Workflows.
Doch diese Stärke hat Grenzen: Flexibilität und Lernfähigkeit fehlen. Sobald unklare oder neue Anforderungen auftreten, stoßen automatisierte KI-Systeme an ihre Limits.
AI Workflows gehen über eine reine Automatisierung hinaus. Sie sind kontextsensitiv, können Wahrscheinlichkeiten einbeziehen und lassen sich flexibel in bestehende redaktionelle oder organisatorische Abläufe integrieren. Ein Beispiel: Ein Workflow kann erkennen, dass ein Nutzer zu 63 % aktiv ist – also weder vollständig aktiv noch inaktiv und daraufhin passende Inhalte priorisieren.
Damit bringen AI Workflows Dynamik und Skalierbarkeit in Medienprozesse. Sie verknüpfen Tools, Daten und Menschen und machen KI in den Redaktionen operativ nutzbar. Ein Herausforderung bleibt jedoch: Sie benötigen oft domänenspezifisches Trainings, und ihre Entscheidungslogik ist nicht immer einfach nachvollziehbar.

AI Agents agieren autonom, nicht-deterministisch und passen adaptiv an Aufgaben an
Die nächste Phase der KI-Entwicklung dreht sich nicht mehr um einzelne Tools, sondern um die Orchestrierung komplexer Prozesse. Medienhäuser und Verlage, die KI nicht nur punktuell einsetzen, sondern strategisch in ihre Workflows integrieren, sichern sich Wettbewerbsvorteile: schnellere Abläufe, geringere Aufwände und bessere Nutzererlebnisse.
Kurzum: Der Fokus verschiebt sich von der Technologie hin zur Integration und genau hier kommen die AI Agents ins Spiel.
Ein Blick in den aktuellen KI-Reifegrad-Report von Retresco und BDZV vermittelt ein differenziertes Bild: 34 % der befragten Medienunternehmen stufen die Relevanz von AI Agents derzeit als „mittel“ ein. Angesichts des Hypes überrascht diese Zahl, sie zeigt jedoch, wie viel Raum derzeit noch für Experimente und Absichtserklärungen besteht.
Die Gründe dafür sind vielfältig:
Damit AI Agents im redaktionellen Umfeld produktiv nutzbar werden, braucht es:
Ein Beispiel: Medienhäuser können ihre Artikel in einer Vektordatenbank speichern, auf die ein RAG-basierter Chatbot zugreift. Dieser generiert nutzerorientierte Antworten auf Basis redaktioneller Inhalte. Zugleich sollten quantitative und qualitative Metriken zu „Trending Topics“ und zum User Engagement in Echtzeit verfügbar sein.
Während die meisten Medienhäuser und Verlage für ihre KI-Projekte aktuell Large Language Models (LLMs) einsetzen, zeichnet sich ein spannender Paradigmenwechsel ab: Small Language Models (SLMs) gewinnen zunehmend an Bedeutung – insbesondere im Kontext von AI Agents. Eine aktuelle Studie von Nvidia Research kommt zu dem Schluss, dass kleinere, spezialisierte Sprachmodelle den Markt für agentische KI prägen dürften.
Der Grund: SLMs lassen sich gezielt auf domänenspezifische Daten trainieren und sind dadurch präziser, schneller und kosteneffizienter als große, generalistische Sprachmodelle. Dieses „Lego-Prinzip“ sollte es künftig Medienhäusern und Verlagen ermöglichen, themen- und aufgabenspezifische AI Agents auf den Weg zu bringen und zu kombinieren, anstatt auf ein zentrales KI-Modell zu setzen.
Das traditionsreiche US-Magazin Time hat eigene AI Agents vorgestellt, die Nutzer:innen ermöglichen, Fragen zu stellen, Textzusammenfassungen zu generieren und Audio-Briefings individuell abzurufen, basierend auf dem mehr als hundertjährigen Artikelarchiv. Die AI Agents greifen hierfür auf rund 750.000 redaktionelle Inhalte zu, darunter Magazinartikel und Online-Beiträge, und kann Inhalte in 13 Sprachen übersetzen. Ziel dieser AI Agents ist es, den Zugang zu journalistischen Inhalten zu erleichtern, die Verweildauer auf der Seite zu erhöhen sowie neue, interaktive Formate zu etablieren.
Mit diesem KI-Angebot positioniert sich Time als Vorreiter unter den internationalen Medienmarken, die AI Agents strategisch in ihre Content-Angebote integrieren. Der Einsatz markiert nicht nur einen Technologiesprung, sondern auch eine Neuausrichtung redaktioneller Geschäftsmodelle: Statt auf eine reine Monetarisierung zu setzen, kombiniert Time eine gezielte Nutzerbindung mit der Stärkung der eigenen Medienmarke.

Mit AI Agents verbessert Time die User Experience und schafft neue Wege zur Monetarisierung
Das Nachrichtenportal inFranken.de nutzt AI Agents, um Blaulichtmeldungen effizienter zu verarbeiten und zu veröffentlichen. KI-gestützte Workflows automatisieren den gesamten Prozess, von der Erfassung eingehender Polizeiberichte über die Texterstellung bis hin zur Webseiten-Veröffentlichung. Ziel war es, den manuellen Aufwand für die Redaktion zu reduzieren und zugleich eine hohe journalistische Qualität sicherzustellen. Durch maßgeschneiderte Prompts werden Meldungen im CMS automatisiert strukturiert, mit Überschriften und Teasern versehen und nach redaktionellen Standards aufbereitet. Das Human-in-the-Loop-Prinzip stellt sicher, dass die journalistische Kontrolle und Qualität immer gewährleistet bleibt.
Mit den AI Agents werden monatlich mehr als 200 automatisierte Blaulichtmeldungen veröffentlicht, wodurch der Bearbeitungsaufwand pro Meldung von 15 auf 2 Minuten gesunken ist. Die automatisiert generierten Inhalte erzielen eine hohe Sichtbarkeit und Reichweite bei Google und Co. Der erfolgreiche Use Case zeigt, dass Medienhäuser repetitive Prozesse mit AI Agents intelligent automatisieren und dadurch wertvolle Ressourcen freisetzen können.

Einsatz: Automatisierte Blaulichtmeldungen bei inFranken.de (Mediengruppe Oberfranken)
Die Mediengruppe Ippen Digital zeigt, wie AI Agents dabei helfen, journalistische Großprojekte effizient zu automatisieren. Zur Bundestagswahl generierte das KI-gestützte System autonom Ergebnisberichte aus 1.100 Gemeinden, verteilt über 13 Nachrichtenportale in fünf Bundesländern. Die AI Agents erstellten eigenständig Überschriften, Teaser, Grafiken und Artikeltexte und aktualisierten diese in Echtzeit, sobald neue Erststimmenergebnisse eintrafen. Damit wurden redaktionelle Prozesse automatisiert, die manuell kaum zu bewältigen gewesen wären und zugleich ein präziser Blick auf das lokale Wahlgeschehen ermöglicht.
Für die Umsetzung entwickelte Ippen Digital ein Prompt-System, das den AI Agents klare Regeln für Datenabruf, Textstruktur, Stil und Faktenprüfung vorgab. Durch ein gezieltes Prompt Engineering wurde sichergestellt, dass die automatisiert generierten Inhalte sowohl den journalistischen Standards entsprachen als auch die lokalen Besonderheiten jeder Gemeinde berücksichtigten. Das Projekt zeigt, dass AI Agents im Medienumfeld bereits komplexe, datenbasierte Aufgaben mit hoher Präzision ausführen können und Redaktionen damit befähigen, großflächige Ereignisse schnell, zuverlässig und thematisch relevant abzubilden.
AI Agents befinden sich aktuell meist noch in Pilotprojekten, ihr Potenzial ist aber nicht zu unterschätzen. Sie markieren den Übergang von reiner Automatisierung hin zu einer autonomen, datengetriebenen Prozesssteuerung. Für Medienhäuser, Verlage und vergleichbare Publisher bedeutet das nicht nur eine Steigerung der Effizienz, sondern auch einen tiefgreifenden strukturellen Wandel:
Erfolgreiche Umsetzungen werden von den Rahmenbedingungen abhängen. Entscheidungen von AI Agents müssen nachvollziehbar, überprüfbar und rechtlich sicher sein, insbesondere beim Umgang mit sensiblen Daten und urheberrechtlich geschütztem Material. Zudem erfordert der produktive Einsatz eine eindeutige Zieldefintion, robuste Datenbasis, technische Schnittstellen sowie interne Kompetenz im Bereich KI-Management. Viele Redaktionen stehen hier noch am Anfang: Bedenken hinsichtlich Qualität, Kontrolle und redaktioneller Verantwortung sind verständlich und sollten durch klare Governance und Human-in-the-Loop-Prozesse adressiert werden.
Richtig eingesetzt, können AI Agents ihr volles Potenzial entfalten: Sie übernehmen Routineaufgaben, aktualisieren Inhalte in Echtzeit, unterstützen bei Recherchen und schaffen Freiräume für kreative, anspruchsvolle journalistische Arbeit. Der größte Hebel liegt dabei nicht in unbedingt neuen KI-Tools, sondern in der systematischen Weiterentwicklung bestehender Prozesse. Wer diese Grundlage legt, kann AI Agents gezielt einsetzen und so seine digitale Wertschöpfung steigern.
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