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Johannes Sommer
CEO, Retresco
Google macht Ernst mit Künstlicher Intelligenz. Was in den vergangenen Jahren als vereinzelte Experimente begann, erreicht jetzt immer mehr Nutzer:innen. Inzwischen bekommen 1,5 Mrd. Menschen weltweit direkt in ihren Suchergebnissen monatlich KI-basierte Zusammenfassungen per AI Overviews ausgespielt. Im Mai wurde zudem der ChatGPT-ähnliche AI Mode vorgestellt, der in den USA bereits für mobile Suchen inzwischen auch bereits verfügbar ist. Schrittweise soll dieser völlig neue Such-Modus in die „Main Search Experience“ integriert werden, wie Google-CEO Sundar Pichai im Lex Fridman Podcast erklärte.
Die Klickraten in der Google-Suche sind mit der Einführung von AI Overviews laut dem SEO-Spezialisten Ahrefs durchschnittlich um 34,5 % gesunken. Besonders bei mobilen Suchanfragen dürften die Klicks, die tatsächlich auf Webseiten ankommen, mit AI Overviews noch deutlicher zurückgegangen sein. Das US-Publisher-Start-up Tollbit kam im März sogar zu einem noch ernüchternden Ergebnis: Demnach liegen die Klickraten bei KI-Suchen um 95,7 % niedriger als bei herkömmlichen Google-Suchen. Die Weiterleitungsrate beträgt lediglich 0,37 %.
Für Medienhäuser, die stark auf Google-Traffic angewiesen sind und ihre Inhalte darauf optimieren, stellt dies ein potenzielles Geschäftsrisiko dar, das sich nicht einfach aussitzen lässt. Inzwischen hat die britische Organisation Independent Publishers Alliance auch eine EU-Kartellklage gegen Google-Mutter Alphabet eingereicht, um wegen AI Overviews in der Google-Suche vorzugehen.
AI Overviews hat seit dem Launch in Deutschland im März für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Die KI-basierten Zusammenfassungen tauchen immer häufiger in den Suchergebnissen auf. Am häufigsten nennt Google hierbei – wenig überraschend – sich selbst als Quelle. Das liegt vor allem daran, dass zunehmend automatisiert übersetzte Inhalte aus anderen Sprachen eingebunden werden, die über interne Google-Links miteinander verbunden sind.
Der SEO-Spezialist Sistrix hat vor kurzem die 50 Top-Domains mit AI Overviews in Deutschland veröffentlicht. Besonders oft referenziert Google hierbei gesundheitsbezogene Angebote. Unter den Top 50 finden sich medienseitig ndr.de auf Platz 3, T-Online auf Platz 14, br.de auf Platz 17, der Fachverlag Haufe auf Platz 22, swr.de auf Platz 38 sowie mdr.de auf Platz 39. Reddit taucht interessanterweise erst auf Platz 86 auf.
Insgesamt zeigt die Sistrix-Auswertung: Mit AI Overviews mischt Google die Karten neu. Die Bewertung und Gewichtung von Domains und Webseiten folgt nicht mehr den bislang bekannten Mustern.
AI Overviews erscheinen oberhalb der regulären Suchergebnisse und liefern kompakte Antworten aus verschiedenen Quellen. Nutzer:innen müssen hierfür keine Medienangebote mehr besuchen – sie finden die Antworten direkt bei Google. Zwar werden Medieninhalte weiterhin als Quellen aufgegriffen und verarbeitet, doch daraus entstehen nur noch sehr wenige Klicks auf Originalquellen. Für Publisher bedeutet das nicht nur weniger Klicks, sondern auch sinkende Sichtbarkeit, geringere Reichweite, weniger Traffic und eingeschränkte Möglichkeiten zur Monetarisierung.
Google betont, dass die Qualität der verbleibenden Klicks steige: Nutzer:innen, die doch auf einen Link klicken, tun dies angeblich mit einem höheren Interesse. Doch dieser Effekt kann den deutlichen Rückgang am Gesamt-Traffic bei weitem nicht kompensieren.
Der Branchendienst Meedia hat Verlagsleiter von Ippen.Media, Bild, BurdaForward, Zeit, Spiegel, Schwäbisch Media und Madsack zu den Auswirkungen von AI Overviews befragt. Die allgemeine Erwartung: Der Such-Traffic wird zurückgehen – Panik ist jedoch keine ausgebrochen. Die bisherigen Auswirkungen fallen je nach Medienhaus sehr unterschiedlich aus und sind bislang überschaubar.
Bei der Google-Suche waren Medienhäuser bislang gewohnt, dass Quellen verlinkt werden. Doch dies ändert sich gerade mit AI Overviews, AI Mode und vergleichbaren anderen KI-Suchen. Sistrix hat 10 Mio. Prompts von Google Gemini (als Basis für AI Overviews und AI Mode), ChatGPT und Deepseek analysiert. Nur 13,95 % aller Antworten enthalten mindestens eine verlinkte Quelle. Google Gemini verweist mit 23,0 % noch am häufigsten auf eine Quelle.
Vielmehr platzieren KI-Suchen teils Quellen, die in Wirklichkeit gar nicht existieren. Auch hier schneidet Google Gemini noch am besten ab: Rund 42 % der angegebenen Links sind direkt erreichbar, weitere 20 % leiten auf eine andere Seite weiter. Bei etwa einem Drittel hingegen gibt es die angegebene Seite nicht. Kurzum: Im Vergleich zur klassischen Google-Suche enthalten Antworten signifikant weniger Links und bieten eine fehlerbehaftete Quellenverweise.
Noch weitreichender als AI Overviews sind die Auswirkungen des neuen AI Mode, der mittlerweile in den USA und Indien grundsätzlich verfügbar ist. Mit nur einem Klick gelangen Nutzer:innen in den neuen Such-Tab „AI Mode“ – prominenter platziert als „Bilder“, „Videos“ oder sogar „News“. Google-CEO Sundar Pichai hat angekündigt, dass AI Mode perspektivisch direkt auf die Standardansicht von Google wandern wird.
Im Unterschied zur klassischen Google-Suche, bei der Nutzer:innen Keywords, Stichworte oder kurze Phrasen eingeben, ermöglicht der AI Mode detaillierte, kontextsensitive Fragestellungen. Nutzer:innen sind dabei angehalten, deutlich längere und komplexere Fragen zu formulieren, als es bei herkömmlichen Suchabfragen üblich ist.
Entsprechend kann der AI Mode mehrteilige, anspruchsvolle Fragen verarbeiten und liefert ausführliche, zusammengefasste KI-Antworten. Im Hintergrund arbeitet dabei ein sogenannter „Fan-Out-Query“-Mechanismus: Komplexe Fragen werden in Teilfragen zerlegt, auf unterschiedlichen Wegen recherchiert, die Ergebnisse wieder zusammengeführt und als konsolidierte Antwort ausgegeben. AI Mode analysiert und bewertet diese Ergebnisse, um detaillierte Erklärungen, Visualisierungen sowie multimodale und personalisierte Inhalte zu präsentieren. AI Mode bedeutet weniger Klicks auf externe Inhalte sowie mehr Kontrolle für Google über die gesamte Nutzerreise – von der ersten Frage bis zur finalen Conversion. Die komplette Customer Journey soll künftig innerhalb des Google-Ökosystems stattfinden.
Googles Antwort auf Challenger wie OpenAI kommt spät, ist jedoch strategisch durchdacht. Mit AI Mode könnte Google der Spagat zwischen Innovationsdruck und Werbeumsatzsicherung gelingen. Der Modus strukturiert komplexe Nutzerfragen nicht nur in Einzel- und Unterthemen, sondern reichert sie zusätzlich mit Echtzeitdaten, Lokalinformationen und individuellen Kontextdaten an. So entstehen strukturierte, sofort konsumierbare Antworten – ganz ohne weitere Kontaktpunkte. Die dafür genutzten Informationen stammen aus den diversen Google-Diensten. Das Ergebnis ist ein geschlossener Informationskreislauf, in dem Google Inhalte nicht mehr nur vermittelt, sondern direkt aggregiert, interpretiert und präsentiert – und so sein Ökosystem mit AI Mode weiter verdichtet.
Mit AI Overviews und AI Mode verfolgt Google eine differenzierte, aber klar abgestimmte Doppelstrategie auf dem Weg zu einem geschlossenen Ökosystem. Die Unterschiede liegen nicht nur in der Oberfläche und im Funktionsumfang, sondern auch im grundsätzlichen Ansatz: Während AI Overviews als eine Brücke zwischen der klassischen Google-Suche und den KI-basierten Zusammenfassungen bei der Suche dienen, geht AI Mode deutlich weiter – hin zu einem komplett interaktiven Suchdialog.
AI Overviews ist deshalb als ein Übergangsmodell einzustufen: ein kontrolliertes Testfeld für neue Suchlogiken und zugleich Schutzmechanismus für Googles Werbegeschäft. Für AI Overviews ist charakteristisch:
AI Mode steht hingegen für eine vollständige Transformation der Google-Suche. Anstelle klassischer Suchergebnislisten bietet er eine dialogbasierte Oberfläche, ähnlich einem Chatbot. Interaktion und Kontextualisierung stehen beim AI Mode im Mittelpunkt. Für AI Mode ist charakteristisch:
Mit dieser Doppelstrategie will Google Nutzer:innen im eigenen Ökosystem halten. AI Overviews wird aktuell längst nicht für alle Suchanfragen ausgespielt. In der Praxis erscheinen AI Overviews insbesondere dann, wenn Google keine nennenswerten Werbeeinbußen durch entgangene Klicks riskiert. Betroffen sind vor allem informationelle und nicht-kommerzielle Suchen, etwa generische Wissensfragen, gesundheitliche Abfragen oder Rezeptvorschläge.
AI Overviews und AI Mode bedeuten, dass die Grenzen zwischen organischer Suche und bezahlten Werbeanzeigen weiter verschwimmen. Herkömmliche SEO-Maßnahmen verlieren an Wirkung, da im AI Mode textliche und technische Zusammenhänge oft nicht mehr erkennbar sind. Medienhäuser können dem lediglich ein Stück weit begegnen, indem sie auf KI-optimierte Inhalte, strukturierte Datenformate und semantisch gebündelte Themen setzen.
Zugleich testet Google bereits Anzeigen im AI Mode, bei denen Nutzer:innen thematisch passende Werbeeinblendungen als „Best Next Action“ angezeigt werden. Der AI Mode ist darauf ausgelegt, Such- und Kaufabsichten frühzeitig zu erkennen und gezielt auf die jeweilige Entscheidungsphase innerhalb der Nutzerreise einzuwirken. Aktuell agiert Google bewusst vorsichtig: Noch wird mit der Integration von Werbung nur experimentiert, um das eigene Geschäftsmodell nicht zu gefährden und Quartalsumsätze von mehr als 65 Mrd. US-Dollar zu sichern.
AI Overviews und AI Mode funktionieren als Walled Garden für personalisierte Antworten und gezielte Content-Empfehlungen. Davon betroffen sind klassische Nachrichteninhalte, Reviews, Service-Informationen, Ratgeber, How-Tos und Produktsuchen – genau die Formate, mit denen viele Medienhäuser digitale Reichweite aufbauen und Erlöse erzielen. Hart dürfte es auch Fachmedien mit absehbaren Verlusten an organischem Traffic treffen, da auch Fach- und Special-Interest-Themen sowie serviceorientierte Inhalte übernommen werden.
Der Zugang zu Reichweite ist immer restriktiver organisiert, während Transparenz und die Referenzierung von Originalquellen deutlich sinken. Zugleich schwinden die Möglichkeiten zur Monetarisierung, da Google sich zwischen Medienhäuser als Content-Anbieter und die Nutzer:innen schaltet.
Wie schätzt du Googles KI-Strategie ein? Hast du bereits Erfahrungen mit AI Overviews gesammelt? Und hast du schon mit AI Mode experimentiert? Ich bin gespannt auf euer Feedback!