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Johannes Sommer
CEO, Retresco
Multimediale Inhalte, interaktive Tools, Soziale Medien – der Lokaljournalismus erlebt eine aufregende Transformation. Inmitten dieses Umbruchs betritt ein neuer Player die Bühne: Künstliche Intelligenz (KI). Mit ihren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten verspricht KI, die Berichterstattung in unseren Städten und Gemeinden zu revolutionieren. Deshalb stellt sich die Frage: Chance oder Bedrohung?
Redaktionen, die KI-gestützte Tools nutzen, können ihre Workflows weiterentwickeln und ihre Effizienz steigern. KI kann repetitive Recherche- und Routineaufgaben automatisieren, Datenanalysen in Sekundenschnelle durchführen oder ganze Textpassagen generieren oder umformulieren. So bleibt den Redaktionen mehr Zeit für ihre Kernkompetenzen: die Einordnung von Informationen, die kritische Analyse und das kreative Erzählen von Geschichten, die für die Leser/innen vor Ort relevant sind.
Doch die Kehrseite der Medaille sollte nicht ignoriert werden: Große Sprachmodelle wie GPT oder Google Gemini, die die Grundlage vieler KI-Tools bilden, benötigen immense Datenmengen, um zu funktionieren. In der Welt des Lokaljournalismus, wo oft mit begrenzten Ressourcen und kleinere Datenmengen gearbeitet wird, stellt dies eine Herausforderung dar. Die Gefahr besteht, dass lokale Berichterstattung auf standardisierte Muster und vorgefertigte Inhalte reduziert wird, die den lokalen oder regionalen Bedürfnissen der Leserschaft nicht gerecht werden.
Der Einsatz von KI im Lokaljournalismus ist deshalb ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bietet sie die Chance, die Qualität und Effizienz der Berichterstattung zu verbessern. Andererseits besteht das Risiko, dass der lokale Bezug und die journalistische Empathie bei der Berichterstattung durch die KI auf der Strecke bleiben. Es liegt an den Redaktionen, die neuen Möglichkeiten verantwortungsvoll zu nutzen und gleichzeitig die ethischen und qualitativen Standards des Journalismus zu wahren.
Wenn wir von der Nutzung von generativer KI in Lokalredaktionen sprechen, geht es nicht nur um die Optimierung bestehender Prozesse, sondern auch um die Erschließung neuer Potenziale. Durch den gezielten Einsatz von KI können Lokalredaktionen ihre Reichweite erweitern und dabei Ressourcen schonen. Ob es sich um die automatisierte Erstellung von Lokalnachrichten wie Wahlmeldungen, Sportnachrichten, Wetterberichte oder Veranstaltungshinweise handelt und um die Bereitstellung personalisierter, kuratierter Inhalte für lokale Zielgruppen, generative KI bietet neue Wege, um relevante Informationen auf einfache und zielgerichtete Weise bereitzustellen.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Nutzung von KI in Verlagen noch deutlich “Luft nach oben” besitzt. Nur 30 % der befragten Verlage geben an, dass sie bereits fertig entwickelte KI-basierte Anwendungen einsetzen. Trotzdem sind die Erwartungen hoch: 77 % der Verlage sind überzeugt, dass die erfolgreiche Implementierung KI-basierter Anwendungen bis zum Jahresende von zentraler Bedeutung sein wird. Hierbei identifizieren 52 % der befragten Verlage Automatisierung durch Machine-Learning- und KI-Tools als wesentlich für mehr Effizienz.
Nicht zuletzt diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass die Prozessoptimierung durch KI im Lokaljournalismus noch enorme Potenziale bietet. Einige Lokalredaktionen gehen beim Einsatz von generativer KI als Teil ihrer Redaktionsstrategie für den Einsatz von KI aber bereits bespielhaft voran. In diesem Artikel beleuchten wir fünf konkrete Best Practice Beispiele aus Lokalredaktionen, um zu verdeutlichen, wie generative KI die lokale und regionale Berichterstattung verändert und wo die Potenziale sind. Eines ist sicher: Die Zukunft lokaler Berichterstattung liegt in den Händen innovativer und experimentierfreudiger Redaktionen. Es gilt, neue Wege der Interaktion mit der Leserschaft zu gehen, um das Publikum aktiv einzubinden und gleichzeitig wie in der Vergangenheit einen hohen Grad an Objektivität, Relevanz und Glaubwürdigkeit sicherzustellen.
Aus diesem Grund haben wir diese fünf Best Practice Beispiele herausgesucht:
Die Rheinische Post setzt in ihrer Berichterstattung bereits auf eine Reihe innovativer Technologien. So werden unter anderem Anwendungen im Bereich Text-to-Speech und Voice Cloning realisiert, um der Vermittlung journalistischer Inhalte eine weitere Dimension hinzufügen. Diese Technologie ermöglicht es, Textinhalte automatisiert in gesprochene Sprache zu übertragen. Dadurch können Artikel nicht nur gelesen, sondern auch angehört werden – eine Entwicklung, die angesichts der zunehmenden Bedeutung von Audioinhalten im Alltag der Leserschaft von großer Relevanz ist.
Noch einen Schritt weiter geht das Voice Cloning. Hierbei handelt es sich um eine Technologie, die es ermöglicht, die Stimmen der Autor/innen künstlich zu generieren. Das Resultat sind Audioinhalte, die nicht nur informativ, sondern auch persönlich und nahbar sind – eine wichtige Voraussetzung, um das Vertrauen der Hörer/innen zu gewinnen. Interessant ist hierbei auch der geringere Aufwand, den diese Technologien im Vergleich zur klassischen Erstellung von Audioinhalten erfordern. So ist es bei der Rheinischen Post durch den Einsatz von Voice Cloning nicht mehr notwendig, 20 Stunden Audiomaterial pro Person bereitzustellen, um eine überzeugende Audioqualität von geklonten bzw. synthetischen Stimmen zu erzielen.
In die Zukunft blickend, strebt die Rheinische Post an, eine “hörbare Zeitung” zu schaffen, bei der die Leserschaft personalisierte und kuratierte Playlists ihrer gewünschten Inhalte erstellen können. Hierbei dürfte die weitere Entwicklung und sinkenden Kosten der Text-to-Speech-Technologie eine entscheidende Rolle spielen. Die ersten Erfahrungen sind vielversprechend und zeigen das große Potenzial, das in ihnen für den Journalismus steckt. Last but not least, lassen sich dadurch einfach und effektiv barrierefreier Content produzieren, damit Leser/innen mit Handicap auch lokal unterschiedlichste Inhalte konsumieren können.
Ein weiteres Best Practice Beispiel führt uns zu verschiedenen Medienhäusern, die auf automatisierte News-Podcasts mit künstlichen Stimmen setzen, um ihre Nachrichten zu verbreiten bzw. hierfür einen weiteren Kanal zu erschließen.
Die Badische Zeitung bietet beispielsweise mit “200 Sekunden Baden” einen täglichen Nachrichten-Podcast an, der von einer KI vorgelesen wird. Der Fokus liegt hierbei auf regionalen News und Meldungen. Der Podcast wird an den fünf Werktagen jeweils um 6:30 Uhr veröffentlicht und enthält fünf bis sechs relevante Nachrichten des Tages.
Die Nachrichten werden Ihnen in 200 Sekunden von einer Künstlichen Intelligenz vorgelesen.
Auf eine ähnliche Art und Weise agiert die Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA). Hierbei wird mit einer automatisiert generierten, synthetischen Stimme ein Nachrichten-Podcast generiert, der täglich rund 5.000-mal abgerufen wird und lokale Informationen aus der Region Nordhessen und Südniedersachsen bietet. Bei beiden Lokalredaktionen kommen Text-to-Speech-Technologien zum Einsatz, die die Nachrichten nach der Texterstellung durch eine Online-Anwendung in eine digitale Stimme wandeln.
Ein weiteres Beispiel ist der Podcast des Mannheimer Morgen. Die Redakteure geben hierfür ihre Meldungen in das System ein, wobei mithilfe der Text-to-Speech-Technologie „Aflorithmic“ ein gesprochener Text entsteht. Die KI nutzt dann diesen Text sowie weitere Tondateien, um eine harmonisch vertonte Nachrichtensendung zu generieren. Durch den Wegfall manueller Prozessschritte und Aufwände wie dem Einsprechen im Studio oder dem Schnitt sparen die Verlage viel Zeit und können ihre Leser/innen aktuell und multimedial informieren.
Unser drittes Best Practice Beispiel beschäftigt sich mit der Automatisierung des Printlayout-Prozesses durch KI. Die Zeitungen “General-Anzeiger” aus Bonn und “Der Patriot” aus Lippstadt setzen bereits auf Softwaren-Anwendungen, um ihre digitale und Printproduktion zu optimieren.
Beim “General-Anzeiger” kommt eine KI-Lösung des Softwareanbieters InterRed zum Einsatz. Diese Technologie ermöglicht es, das Seitenlayout von Zeitungen und E-Papern automatisiert zu generieren, während das charakteristische Erscheinungsbild der Printprodukte erhalten bleibt. Der Vorteil: Online- oder Agenturinhalte können automatisiert in das Layout der gedruckten Zeitung und ins E-Paper transformiert werden. Der “General-Anzeiger” profitiert dadurch von einer erheblichen Zeitersparnis.
Einen ähnlichen Weg geht die traditionsreiche Regionalzeitung “Der Patriot”, um die eigene Printproduktion komplett zu automatisieren. Das CMS-Modul „Alfa Editorial Organiser“ sorgt für eine strukturierte Redaktionsstrategie sowie eine gezielte Weiterentwicklung der Print-Maßnahmen. Hierbei lassen sich grundsätzlich alle gängigen Formate speichern, medienneutral bearbeiten sowie mit wenigen Klicks im gewünschten Kanal veröffentlichen, wobei ganze 25 Redaktionsarbeitsplätze auf diesem neuen Printlayout-Ansatz umgestellt werden.
Beide Beispiele zeigen, wie KI und Automatisierung die Printproduktion effizienter und zeitgemäßer gestalten können. Diese Innovationen haben das Potenzial, den Arbeitsalltag in den Redaktionen zu vereinfachen und zu beschleunigen. Gleichzeitig bleibt die Qualität der etablierten Printprodukte erhalten bzw. wird sogar aufgewertet. Im Sinne der Qualitätssicherung ist es hierbei unerlässlich, dass die Redaktionen die Endkontrolle über die Gestaltung und das Output der digitalen und Printpublikationen behalten.
Die Augsburger Allgemeine macht sich dagegen die neusten Möglichkeiten generativer KI zunutze und hat mit dem Dialog- und Moderations-Assistent “conversario” ein innovatives Angebot in ihre redaktionellen Prozesse integriert. Das Tool leistet einen wertvollen Beitrag für die tägliche Arbeit im Community Management, indem Kommentare automatisiert – und nach den Regeln der jeweiligen Community – moderiert werden. Damit bewahrt es sowohl die Nutzer/innen als auch die Betreiber/innen rund um die Uhr vor Angriffen und fördert konstruktiven Dialog.
Bei conversario wird KI eingesetzt, um Online-Debatten automatisiert zu moderieren.
Auch die Aachener Zeitung setzt mit dem Debattentool “Rhetoric” KI-Technologie ein, um diskriminierende und toxische Inhalte durch die Leserschaft zu erkennen und solche Debatten automatisiert zu moderieren. Dies reduziert den manuellen Aufwand der Redaktion für herausfordernde Moderationen signifikant. Automatisiert wird hierbei versucht sicherzustellen, dass sich die Debattenteilnehmer/innen mit Argumenten beider Seiten auseinandersetzen und einen respektvollen Umgangston an den Tag legen. Dies schafft die Voraussetzung für einen positiven Kommunikationsspin und User-generated Content. Zugleich wird die Redaktion dadurch in die Lage versetzt, unterschiedlichste Meinungen der eigenen Leserschaft zu erfassen und daraus Anknüpfungspunkte für die künftige Berichterstattung zu erhalten.
Der Vorteil beim Einsatz solcher Moderations-Assistenten ist, dass die Leserschaft vor hochgradig polarisierenden oder hasserfüllten Debatten und Kommentaren geschützt wird. Grundsätzlich lassen sich dadurch offene, nicht moderierte Kommentarfunktionen ersetzen sowie den Ton der Debatte freundlicher ausrichten. Bei der Augsburger Allgemeinen und der Aachener Zeitung sind die ersten Erfahrungen mit dem Einsatz dieser KI-Technologie vielversprechend. Die Potenziale zeitgemäßer KI-Möglichkeiten für eine automatisierte Meinungsextraktion und Debattenmoderation werden überzeugend umgesetzt.
Eine Regionalzeitung aus Süddeutschland nutzt seit kurzem unsere KI-basierte Textmodifizierungsfunktionalität Rewrite, um ihre redaktionellen Workflows durch einfache und effektive Umformulierungen sowie automatisiert zusammengefasste Inhalte zu erweitern. Hiermit lassen sich generische Meldungen wie lokale und regionale Gerichts- oder Agenturmeldungen, Polizeiberichte und Reiseinformationen zielgruppengerecht auslegen und in Nachrichtenartikel wandeln. Ein weiterer Vorteil ist eine neutrale Berichterstattung, die Marketing-Sprech entfernt und Fachbegriffe durch allgemein verständliche Bezeichnungen ersetzt (“Leichte Sprache“). Zugleich trägt die maßgeschneiderte Anpassung generischer Meldungen dazu bei, die Qualität der Inhalte zu erhöhen und den Stil der Berichterstattung zu vereinheitlichen.
Mit Rewrite können beispielsweise Polizeimeldungen einfach und automatisiert in ein neues Format gebracht.
Zudem profitiert die Regionalzeitung davon, dass die automatisiert modifizierten Texte bereits für Suchmaschinen und Social Media optimiert sind. Auch lässt sich das Engagement der Leser/innen durch die Erstellung von Teaser-Texten, Zwischenüberschriften und kanalspezifische Posts gezielt erhöhen. Durch die nahtlose Integration in das eigene Redaktionssystem profitiert die Zeitung insgesamt davon, dass repetitive Erstellungsprozesse wegfallen und allen Redaktionsmitgliedern eine identische Funktionalität zur Textmodifikation zur Verfügung gestellt wird. Im Vergleich zu ChatGPT, Google Gemini und Co. ist hierbei kein eigenständiges Prompting durch die Redakteure erforderlich. Vielmehr werden Prompts zentral gebündelt und sind von der gesamten Redaktion nutzbar.
Auch die Main Post setzt KI ein, um Produktionsprozesse zu optimieren und die Berichterstattung zu unterstützen. Konkret setzt sie KI zum Korrekturlesen ein, aber auf zum Kürzen von Texten oder um Formulierungsvorschläge für Überschriften und Teaser zu generieren. Was es beim Einsatz von KI von ihren Redakteur/innen zu berücksichtigen gibt, haben sie sogar in ihren journalistischen Leitlinien festgehalten.
Die fortschreitende Digitalisierung und die neuesten Möglichkeiten generativer KI fordern den Lokaljournalismus – bringen aber auch zahlreiche neue Möglichkeiten mit sich. Durch eine gezielte Automatisierung und Weiterentwicklung etablierter Arbeitsprozesse lässt sich die Effektivität der Berichterstattung steigern. Unsere Best Practice Beispiele zeigen, dass innovative KI-Ansätze in der lokalen Berichterstattung bereits erfolgreich eingesetzt werden.
Trotz der unbestreitbaren Potenziale sind die Herausforderungen und Unabwägbarkeiten im Umgang mit KI absolut nachvollziehbar. Deshalb sind eine sorgfältige, zukunftsorientierte Planung und Implementierung unerlässlich. Im Rahmen einer ganzheitlichen Risikobewertung sind die positiven Effekte von KI allerdings auch im lokalen und regionalen Umfeld außer Zweifel. KI bietet vielversprechende Chancen sowohl für die Optimierung aktueller Prozesse als auch für die Erschließung neuer Potenziale. Hierbei gilt es allerdings nicht zu vergessen, dass KI nur ein Werkzeug für mehr Effizienz sein kann, ohne dass sie die lokale Perspektive und redaktionelle Empathie ersetzt.
Für Fragen rund um das Thema generative KI und Automatisierung für den Lokaljournalismus stehen wir gerne zur Verfügung. Sprich uns an – unsere Expert/innen melden sich gerne bei dir!