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Karsten Kynast
Senior AI Manager
Der neue KI-Reifegrad-Report 2025 von Retresco und BDZV zeigt deutlich: Generative KI ist im redaktionellen Alltag angekommen, bisher allerdings überwiegend als Werkzeug zur Effizienzsteigerung statt als Basis neuer Wertschöpfung. Für Entscheider in Verlagen wird damit klar: Die KI-Organisationsreife nimmt zu, aber der strategische Sprung in Richtung Innovation steht noch weitgehend aus.
Viele Verlage haben seit dem zurückliegenden Jahr deutliche Fortschritte bei ihrer KI-Organisationsreife gemacht: KI wird eingesetzt. Gemäß unser Befragung nutzen 96 % der Redaktionen inzwischen KI-Tools, vor allem zur Effizienzsteigerung. Für 57 % steht die Reduktion von Kosten oder die Beschleunigung redaktioneller Abläufe im Vordergrund. Nur wenige Häuser nutzen KI allerdings strategisch, um neue Produkte, Services oder Geschäftsmodelle zu entwickeln und damit mögliche Monetarisierungspotenziale zu heben.

Der KI-Reifegrad-Report 2025 zeigt: GenAI ist im Redaktionsalltag
angekommen, neue Erlösmodelle sind aber noch selten
Damit bleibt KI häufig ein internes Instrument. Der KPI-Fokus liegt stark auf Output, Geschwindigkeit und Prozesseffizienz, während Monetarisierungs-KPIs oder strategische Wachstumsmetriken in vielen Fällen fehlen. Das führt dazu, dass die KI-Implementierung in der Medienbranche operativ bereits gut funktioniert, zugleich aber zentrale strategische Dimensionen noch unzureichend adressiert sind.
Der Report macht deutlich, dass sich die KI-Implementierung in der Medienbranche auf drei zentrale Handlungsfelder konzentriert: Textautomatisierung und Personalisierung dominieren den Einsatz, während Bildgenerierung stark an Dynamik gewinnt und Audio in Verlagshäusern trotz großer Aufmerksamkeit aktuell stagniert. Besonders rasant entwickelt sich der Bereich RAG-basierter Chatbots und Q&A-Systeme, die eine direkte und qualitativ hochwertige Interaktion mit verlagseigenen Inhalten ermöglichen. Ein klarer Hinweis darauf, wie wichtig strukturierte Wissensbestände für die KI-Organisationsreife von Verlagen werden. Zugleich stufen bisher lediglich 34 % der Medienhäuser KI-Agenten mit autonomen Entscheidungsfähigkeiten als relevant ein, was zeigt, dass viele Häuser derzeit eher auf kontrollierte Anwendungen setzen.
Ein weiterer strategischer Befund betrifft die Sichtbarkeit im digitalen Raum: 43 % der Verlage registrieren sinkende Zugriffe über Google, doch nur 17 % optimieren bereits aktiv für neue KI-Suchformate wie AI Overviews oder Discover. In diesem Bereich besteht für die Medienhäuser offensichtlicher Handlungsbedarf, um künftig weitere Reichweiten- und Trafficverluste zu vermeiden.
Rund 60 % der Verlage verfügen inzwischen über eine KI-Strategie, doch nur ein Teil der Mitarbeitenden ist darüber informiert. Die organisatorische Transformation schreitet zwar voran, die kulturelle Verankerung hinkt jedoch noch hinter. Um die Nutzung von KI in den Unternehmen erfolgreich zu etablieren, sind verständliche Leitplanken, praxisnahe Hilfsmittel wie Prompt-Datenbanken, Guidelines und konkrete Use Cases sowie eine kontinuierliche Qualifizierung der Teams notwendig.
Wie schon beschrieben fokussiert die Mehrzahl der Häuser derzeit prozessuale Optimierung mit Hilfe von KI. Wer jedoch Künstliche Intelligenz effektiv als Wettbewerbsvorteil nutzen will, muss sie zu einem strategischen Werttreiber entwickeln.
Drei Prioritäten kristallisieren sich heraus:
Wie Medienhäuser den Schritt von der reinen Prozessoptimierung hin zu neuen Erlösmodellen und einer echten KI-Organisationsreife schaffen könnten, habe ich, Karsten Kynast mit unserem CEO Johannes Sommer erörtert.
Johannes Sommer: Zunächst halte ich den Fokus auf Effizienz beim Einsatz von Generativer KI in Medienunternehmen für nachvollziehbar. Die heute verfügbaren KI-Modelle unterstützen vor allem einzelne Schritte eines redaktionellen Workflows, vom Bild- und Text-Editing über Transkripte bis hin zu Übersetzungen und Recherche. Solche Anwendungen sind verhältnismäßig einfach und schnell testbar, via Schnittstellen in bestehende Prozesse und Systeme integrierbar und durch gutes Prompting produktiv nutzbar. Genau hier erleben wir derzeit den größten Hebel im redaktionellen Alltag.
Wachstumsorientierte KI-Anwendungen sind dagegen deutlich anspruchsvoller. Sie erfordern eine klare Produktvision, belastbare Datenarchitekturen, Entwicklungskapazitäten oder spezialisierte Dienstleister, ein einwandfreies Datenhandling – in jedem Fall also eine größere Investition technisch, ressourcenseitig wie auch monetär. Viele Häuser arbeiten aktuell daran, diese Grundlagen und Strukturen aufzubauen, was ein zentraler Befund unserer Reifegradanalyse ist.
Zugleich sehen wir, das Pilot- und Betaprojekte vielerorts in strukturierte KI-Implementierungen übergehen. Medienhäuser professionalisieren Prozesse, schaffen Governance, etablieren Datenstrategien und heben den KI-Organisationsreifegrad. Dadurch entstehen die Voraussetzungen für echte Innovation. Ich erwarte, dass wir bereits im kommenden Jahr deutlich mehr robuste, KI-basierte Angebote sehen werden, die Wachstum und neue Erlöse im Verlag ermöglichen.
Johannes Sommer: Hier ist es wie bei allen grundsätzlicheren Veränderungen in einer Organisation. Was hilft ist strukturierte, kontinuierliche Kommunikation, interne KI-Champions, regelmäßige Schulungen und offene Pilotprojekte, in denen Mitarbeitende früh einbezogen werden. Auch geteilte Prompt-Bibliotheken, interne KI-Helpdesks etc. schaffen Transparenz und senken Hemmschwellen.
Wesentlich ist: Mitarbeitende benötigen Freiräume, um KI selbst zu erproben und den Nutzen für ihre Aufgaben zu erleben. Erst dann wird KI als Teil eines strukturellen Wandels akzeptiert und nicht nur als zusätzliches Tool genutzt.
Johannes Sommer: RAG-basierte Systeme ermöglichen spannende Ansätze in der Medienbranche. Sie ermöglichen bereits bestehenden Content interaktiv, personalisiert und kontextualisiert zugänglich zu machen und damit echte Mehrwerte für Nutzer:innen zu schaffen. Besonders relevant sind drei Felder:
Produktseitige Innovation: KI-basierte Artikel-Chats, Ask-me-Anything-Formate oder thematische Bots verwandeln statische Inhalte in dialogbasierte Services. Sie erhöhen Verweildauer, Relevanz und Bindung, was auf die digitalen Abo-Modelle einzahlt.
Redaktionelle Effizienz und Recherche: RAG-Systeme stellen verlagsinterne Archive, Dossiers und Hintergrundmaterial bereit. Das entlastet Redaktionen bei der Recherche in eigenen Archiven und Informationssuche, beschleunigt Produktionsprozesse und verbessert die Qualität, weil Wissen konsistent und aktuell verfügbar ist.
Event- und Themenbasierte Services: Wahl-, Sport- oder Lokalbots helfen Nutzer:innen, Sachverhalte einzuordnen, zu verstehen und Antworten auf individuelle Informationsbedarfe zu erhalten. Gerade bei wiederkehrenden Großereignissen sind diese Systeme ein skalierbarer, redaktionell sehr gut steuerbarer Service.
Wir sehen bereits eine Reihe erfolgreicher Implementierungen, an denen sich andere Häuser orientieren können – etwa der FAZ Rhein-Main-Assistent, der Gastro-Bot der Rheinischen Post, “Frag Mich” der Neuen Pressegesellschaft, der KI-Chatbot “Frag die NOZ” der NOZ/mh:n-Gruppe oder die KI-Wahlassistenten von Süddeutscher Zeitung.

Der RAG-basierte Gastro-Bot erweitert die Berichterstattung und
stärkt die Monetarisierungsstrategie der Rheinischen Post
Johannes Sommer: Die High Scaler in dem Kontext insbesondere Google und OpenAI verfolgen das klare Ziel, Nutzer:innen möglichst vollständig auf der eigenen Plattform zu halten. Weiterleitungen zu den ursprünglichen Quellen werden dadurch seltener, der Rückgang des Referral-Traffics dürfte sich also fortsetzen.
Medienhäuser müssen Wege finden, in KI-Suchen grundsätzlich sichtbar zu bleiben, etwa durch saubere Datenstrukturen, klare Attribution, technische Standards und natürlich hochwertige und relevante Inhalte, die KI-Systeme zuverlässig auslesen können.
Zudem sollten sie unbedingt versuchen, die eigenen Kanäle weiter zu stärken und direkte Kundenbeziehungen zu entwickeln: Nutzer:innen, die auf die Website kommen, müssen schneller zu registrierten oder zahlenden Kund:innen konvertiert und langfristig gebunden werden. Dafür braucht es eine konsequente First-Party-Datenstrategie, klare User Journeys und eine gezielte Personalisierung. KI eröffnet hier neue Möglichkeiten.
Dialogbasierte KI-Formate, RAG-basierte Services oder personalisierte News-Angebote spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie liefern zusätzliche Kontaktpunkte und wertvolle qualitative Insights, mit denen Verlage Produktentwicklung, Content-Strategie und Monetarisierung steuern können.
Johannes Sommer: Ich sehe darin eine völlig gesunde Normalisierung. Nach der anfänglichen Begeisterung, in der Fähigkeiten und Wirkung neuer Modelle oft überschätzt werden, folgt nun die Phase der Einordnung: Medienhäuser sammeln praktische Erfahrungen, erkennen Grenzen, aber auch konkrete Potenziale. Diese Lernkurve ist essenziell, denn erst mit einem realistischen Blick lassen sich Prioritäten setzen, Prozesse professionalisieren und tragfähige Governance-Strukturen aufbauen.
Wachsende Skepsis beobachte ich eher im Sinne von „informierter Vorsicht“ und genau die braucht es, um KI verantwortungsvoll in Redaktion, Produkt und Technologie zu integrieren. Die nüchterne Haltung mindert das langfristige Potenzial von KI also nicht, sie schafft vielmehr die Grundlage für nachhaltige, skalierbare und wertschöpfende Use Cases.
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