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Janina Abou Al Ward
Product Marketing Manager, Retresco
Wie verändert die Kombination aus Retrieval-Augmented Generation (RAG) und generativer KI die Medienbranche? Welche Rolle spielt Retresco dabei? In diesem Interview habe ich, Janina Abou Al Ward aus dem Retresco-Marketing, unserem CEO Johannes Sommer 16 Fragen zu KI-Medien-Projekten und RAG im redaktionellen Umfeld gestellt. Es geht um Chancen und Herausforderungen mit KI – und warum erfolgreiche Projekte nicht von riesigen Budgets abhängen.
Johannes Sommer: KI ist heute meist nicht mehr Kür, sondern Pflicht. Was noch im vergangenen Jahr häufig in Pilotphasen und Betaprojekten getestet wurde, entwickelt sich zunehmend zu wirtschaftlich tragfähigen, strategisch verankerten Initiativen. Wir erleben derzeit eine Phase der Konsolidierung und Professionalisierung, in der KI-Medien-Projekte systematisch in diverse Arbeitsabläufe eingebunden und gezielt auf ihre Mehrwerte hin getrimmt werden. Die meisten Medienhäuser und Verlage setzen KI zur Steigerung der eigenen Effizienz und Produktivität im Tagesgeschäft ein – etwa bei der Recherche, für automatisierte Texterstellung, für Transkription von Audioformaten wie Interviews und Podcasts. Noch zögerlich sind die Häuser dagegen, mit KI neue Angebote für ihre Nutzer:innen z.B. in Form von Zusammenfassungen, Artikelchats, Wissensbots oder zur dynamischer Content-Ausspielung einzusetzen.
Johannes Sommer: Die größten Herausforderungen bei aktuellen KI-Medien-Projekten liegen weniger in der Technologie selbst, sondern vielmehr in ihrer sinnvollen Integration in bestehende Prozesse. Viele Redaktionen und Content-Teams stehen vor der Aufgabe, Use Cases sauber zu definieren, Verantwortlichkeiten klar zu regeln und hierbei publizistische Standards im Blick zu behalten. Beim Einsatz von KI im Medienumfeld sind zwei Aspekte entscheidend: 1. die Qualität der zugrunde liegenden Datenbasis – denn nur valide Content-Pools führen zu verlässlichen Ergebnissen. 2. Die Qualität und Kontrolle der durch KI-generierten Outputs – denn die Güte und die Vertrauenswürdigkeit der publizierten Inhalte ist mit oder ohne KI das zentrale Werteversprechen der Medien.
Johannes Sommer: Unbedingt – es führt kein Weg daran vorbei. Wer KI nicht einzusetzen lernt verliert. Wir stehen noch immer recht am Anfang und das ist der perfekte Zeitpunkt, um internes Know-how aufzubauen sowie robuste KI-Services und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wer jetzt lernt, KI-Technologien gezielt einzusetzen, verschafft sich einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Johannes Sommer: Erfolgreiche KI- Projekte basieren auf einer belastbaren Bewertung entlang dreier Kernkriterien: Inhaltliche Qualität, wirtschaftlicher Nutzen und Datensicherheit. Wer diese drei Themen im Griff hat und bei jedem Projekt bedenkt, ist sehr gut aufgestellt. Aber natürlich liegt der Erfolg auch im Verständnis, Umgang und Einsatz der Technologie. KI-Medien-Projekte erfordern ein stabiles technisches Setup mit entsprechender Datenbasis, eine leistungsfähige Infrastruktur sowie die Integration in bestehende Systeme und Workflows. In der Praxis wird die Komplexität solcher Projekte häufig unterschätzt – insbesondere dann, wenn sich die KI-Anwendungen direkt an Nutzer:innen richten, etwa in Form von Assistenzsystemen oder interaktiven Dialogformaten. Hier zeigt sich, ob nicht nur die Technologie, sondern auch Organisation, Datenqualität und Prozessverständnis belastbar sind.
Johannes Sommer: Teilweise – die Fortschritte sind zweifellos beeindruckend. Neue Modellgenerationen erscheinen im Wochentakt, fast immer verbunden mit besserer Performance, mehr Effizienz und neuen Möglichkeiten. Aber genau diese Dynamik bringt auch erhebliche Herausforderungen mit sich: Sprachmodelle veralten schneller als geplant („Model Deprecation“), neue LLM-Version müssen eingespielt und bestehende Prompts regelmäßig überarbeitet werden, die Antwortqualität kann variieren und auch die Kosten ändern sich teils erheblich. Das bedeutet: Die technologische Entwicklung allein ersetzt noch kein durchdachtes Projektsetup. Im Gegenteil – Kontinuität, Skalierbarkeit und ein strategischer Blick auf Betrieb und Weiterentwicklung werden in dieser schnelllebigen Umgebung umso wichtiger.
Johannes Sommer: Medienhäuser und Verlage müssen KI als strategisches Querschnittsthema begreifen – nicht als isoliertes Tool. Entscheidend sind klar definierte Ziele, interdisziplinäre Teams mit technologischem und redaktionellem Verständnis, eine skalierbare Infrastruktur und ggf. auch externe KI-Spezialisten. Ohne diese Voraussetzungen drohen KI-Medien-Projekte punktuell zu bleiben, an Wirkung zu verlieren oder gar zu scheitern. Wer hingegen seine KI-Medien-Projekte von Anfang an sauber aufsetzt, schafft die Basis für nachhaltige Innovation – mit echten Mehrwerten für Redaktion, Produktentwicklung und Geschäftsmodell.
Johannes Sommer: Der wichtigste erste Schritt ist, sich konkret und praxisnah mit KI auseinanderzusetzen – nicht auf der Metaebene, sondern entlang konkreter Anwendungsfälle. Entscheidend ist die Frage: Wie kann ein neuer KI-Service das bestehende Geschäftsmodell sinnvoll ergänzen oder stärken? Ein Beispiel: Kann ein Chatbot die Kundenbindung verbessern oder den Service effizienter machen? Lassen sich damit neue Nutzer gewinnen oder bestehende Abonnenten stärker binden? Solche Überlegungen müssen frühzeitig, ehrlich und mit Blick auf die Gestaltung der Lösungen geführt werden.
Johannes Sommer: Der Einstieg ist oft weniger kostenintensiv als vermutet. Viele gängige KI-Tools und Lizenzen sind bereits für wenige hundert Euro im Monat verfügbar – gerade in der Anfangsphase reichen schlanke Setups oft aus. Investieren sollten die Häuser, wie bei allem immer dann, wenn ein KI-Projekte essenzieller Bestandteil des Angebots oder des Geschäftsmodells werden soll. Dann braucht es robuste, datensichere und skalierbare Setups genauso wie Infrastruktur und Ressourcen für den Betrieb, die kontinuierliche Weiterentwicklung und die Maintenance. KI ist wie gesagt aber kein einzelnes Projekt, sondern wird zum grundlegenden Teil unserer Arbeitswelt. Daher braucht es vor allem Investition in Know-how und Organisation: etwa durch gezielte Schulungen, interne Nutzergruppen oder die Einrichtung von KI-Taskforces. Nur mit diesem organisatorischen Fundament lassen sich KI-Medien-Projekte effizient aufsetzen, skalieren und weiterentwickeln.
Johannes Sommer: Aussitzen oder Abwarten ist keine Option. Das erinnert an die frühen Phasen der Digitalisierung: Nicht jedes Medienhaus muss sofort First Mover sein – aber wer zu lange wartet, verliert dauerhaft den Anschluss. Der beste Zeitpunkt, um mit KI-Medien-Projekten zu starten, ist genau jetzt.
Johannes Sommer: Ich sehe tiefgreifende Veränderungen. Die klassische Google-Suche ist passé und weicht zunehmend generativ generierten KI-Antworten, die das Informationsbedürfnis der Nutzerinnen umfassend erfüllen werden. Das wiederum führt zu massivem, für manche Häuser gar zu existenziell bedrohlichem Trafficverlust für die eigenen Angebote. Umso wichtiger ist es, die eigenen Marken in den Mittelpunkt zu stellen und durch innovative Services zu stärken, u.a. durch KI-gestützte Recherchetools, Paid Services oder neue personalisierte Content-Formate und (old but true) durch systematische Erhebung und Verwertung von First-Party-Daten.
Johannes Sommer: Medienunternehmen besitzen das wertvollste Gut: hochwertigen, vertrauenswürdigen und klug kuratierten Content. Diese Inhalte sind die Grundlage, mit der KI-Modelle trainiert werden – das ist zugleich die größte Chance von Medien zur Differenzierung, gleichzeitig aber auch eine große Herausforderung. Denn wer seine Inhalte unkontrolliert in externe Systeme gibt, riskiert, Markenhoheit, Reichweite und Monetarisierungsmöglichkeiten aus der Hand zu geben. Deshalb gilt: Inhalte müssen geschützt, strategisch gesteuert und durch Nutzung von Technologie innovativ an die Nutzerinnen ausgespielt werden.
Johannes Sommer: Weil der Mehrwert sofort spürbar ist. Die Fachpresse verfügt über klar abgegrenzte Zielgruppen und hochspezialisierte Inhalte – ideale Voraussetzungen für den zielgerichteten Einsatz von KI. Ein Beispiel: Wenn Jurist:innen durch ein KI-System direkt auf relevante Gesetze, Urteile oder Kommentare zugreifen können – eingebettet in bereits etablierte Workflows –, entsteht ein konkreter Nutzen: Zeitersparnis, höhere Recherchequalität sowie eine bessere Entscheidungsgrundlage. KI wird in einem solchen Umfeld nicht als Experiment verstanden, sondern vielmehr als Werkzeug zur Produktivitätssteigerung und Qualitätsverbesserung.
Johannes Sommer: Aktuell sehen wir eine starke Nachfrage nach (RAG-basierten) interaktiven Frage-Antwort-Lösungen. Solche Angebote ermöglichen es, natürlichsprachige Nutzerfragen zu einfachen oder komplexen Themen basierend auf medieneigenen Inhalten präzise und kontextbezogen zu beantworten. Gemäß einer aktuellen Trendumfrage von BDZV und Highberg halten 85 % der Medienhäuser dieses KI-Angebot für entscheidend für ihre künftige Wettbewerbsfähigkeit. Dies gilt sowohl nationale und regionale Mediengruppen als auch Fachverlage. Wir bei Retresco haben ein Framework erstellt, dass es insbesondere Medienkunden ermöglicht, entsprechende Lösungen für ihre Leser bereitzustellen– so u. a. schon im Einsatz bei der FAZ, der Neuen Pressegesellschaft, aber auch bei Avoxa, Hans Soldan, Deutscher Anwaltverlag, Walhalla oder HJR.
Johannes Sommer: Unsere Lösung ist so angelegt, dass es möglichst einfach ist, aktuelle Inhalte und Archivcontent eines beliebigen Medienhauses darin zu verarbeiten, um darauf basierend vielseitige engagementsteigernde Formate realisieren zu können. Das Gros des Aufwandes kann also in die Ausgestaltung und das „Fine-Tuning“ der spezifischen Outputformate gelegt werden, um einen möglichst großen Nutzen zu erzeugen.
Johannes Sommer: KI-Agenten sind heute in den meisten Fällen noch Marketinghype, werden mittelfristig aber an Bedeutung gewinnen – auch in den Bereichen redaktionelle Workflows, Recherche, Nutzer:innen-Interaktion, Kundenservice oder bei der Personalisierung von Informationsangeboten. Das Potenzial agentischer Anwendungen ist enorm: Als „Orchestratoren“ steuern sie Datenquellen an, koordinieren Prozesse und treffen Entscheidungen – weitgehend autonom, im Idealfall aber innerhalb eines klar definierten Rahmens. Gerade im Medienumfeld sind auch bei Agenten Verlässlichkeit, Transparenz und Datenqualität unerlässlich.
Johannes Sommer: Vernetzen, voneinander lernen – und mutig, aber fokussiert starten. Und natürlich mit Retresco arbeiten. 😉 Entscheidend ist wie in jedem anderen Kontext ein klarer Blick auf die Zielgruppe: KI hilft enorm dabei Nutzer:innen und Ihre Interessen wirklich zu verstehen und passgenaue interaktive und personalisierte Angebote zu schaffen.
Mein Rat: Nicht auf den großen Wurf warten, sondern konkret anfangen – mit klarumrissenen Use Cases, realistischen Erwartungen und iterativem Vorgehen. So entsteht Schritt für Schritt echter Mehrwert – für die Nutzerschaft und für das Medienaus.
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