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Harald Oberhofer
Head of Marketing, Retresco
Am 4. November 2025 wird in New Jersey der Gouverneur gewählt – das politische Ereignis des Jahres vor Ort. Das regionale Nachrichtenportal NJ.com begleitet die Wahl mit einem „Election Chat“, der mithilfe Künstlicher Intelligenz Kandidat:innen transparent prüft und vergleichbar macht.
“Election Chat” ist ein KI-gestützter Wahl-Chatbot, der drei Nutzungsmöglichkeiten bietet:
Die Inhalte stammen ausschließlich aus dem Archiv der NJ.com der letzten fünf Jahre. Ergänzend fließen Interviews mit den Kandidat:innen sowie von der Redaktion recherchierte Positionspapiere in die Antworten ein. „Elections Chat“ basiert also ausschließlich auf eigenen, verifizierten Informationen. Inhalte aus dem Internet oder anderen Nachrichtenquellen bleiben dagegen unberücksichtigt.
Der „Election Chat“ von NJ.com ist keineswegs die erste Anwendung dieser Art. Vergleichbare Wahl-Chatbots wurden bereits von der der Washington Post, New York Times oder der Süddeutschen Zeitung (SZ) umgesetzt. Der „Election Chat“ zeigt zudem, dass interaktive Frage-Antwort-Formate auch im regionalen Umfeld erfolgreich eingesetzt werden können.
Für solche interaktiven Wahlchats kommt in der Regel RAG (Retrieval-Augmented Generation) zum Einsatz. Die Technologie ermöglicht es, vorliegende Inhalte kontextsensitiv bereitzustellen und auf thematisch passende Artikel aus dem Archiv zu verlinken.
RAG-Systeme bestehen im Kern aus zwei Komponenten:
Im Wahlkontext stellen Nutzer:innen typischerweise Fragen wie „Wer liegt in den Umfragen vorn?“ oder „Was sagen die Parteien zu Mobilität und Steuern?“. Das RAG-System zieht dann aktuelle Daten heran, filtert passende Artikel und Fakten heraus und generiert prägnante, zusammengefasste Antworten.
Im Vergleich zu herkömmlichen FAQ-Seiten oder Liveblogs bieten RAG-basierte Wahlchats passgenaue Informationen auf Basis bestehender Inhalte – in Echtzeit und rund um die Uhr.
Interaktive Wahlchats bieten Medienhäusern eindeutige Vorteile und vermitteln einen Eindruck, in welche Richtung sich der digitaler Journalismus entwickeln könnte:
RAG-basierte Wahlchats minimieren das Risiko von Fehlinformationen und inhaltlichen Verzerrungen erheblich. Im Unterschied zu reinen GenAI-Angeboten, die Antworten aus ihren Trainingsdaten ableiten, nutzen RAG-basierte Wahlchats kuratierte und redaktionell geprüfte Inhalte als Grundlage. Die Antworten entstehen durch die Kombination aus präziser Quellensuche und GenAI-basierten Formulierungen – mit direkter Verlinkung zu den zugrundeliegenden Artikeln. Dies stellt sicher, dass Nutzer:innen jederzeit nachvollziehen können, woher eine Information stammt, und den Ursprung und die Präzision der Inhalte überprüfen können. Medienhäuser behalten so die inhaltliche Hoheit und können belastbare Fakten transparent anbieten.
Große Medienhäuser experimentieren bereits seit längerem mit interaktiven Wahlchats sowie vergleichbaren Formaten. Die Washington Post nimmt hierbei eine Vorreiterrolle ein – etwa mit dem Projekt „Heliograf“. Bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 half das KI-System dabei, in der Wahlnacht automatisiert über mehr als 500 Einzelwahlen zu berichten. 2020 wurde Heliograf um KI-basierte Audio-Updates zur Präsidentschaftswahl erweitert und wird bis heute für eine datengetriebene Berichterstattung zu Wahlen, Sport und Finanzen genutzt.
Zugleich ist der Wahl-Chatbots „Ask The Reporter“ der Washington Post inzwischen in das übergreifende, RAG-basierte Frage-Antwort-Angebot „Ask The Post AI“ aufgegangen. „Ask The Post AI“ beantwortet Nutzerfragen auf Grundlage des aktuellen und historischen Archivs der Zeitung. Hierbei sucht die KI nach relevanten Artikeln, fasst diese Inhalte zusammen und verweist transparent auf die Primärquellen. Nutzer:innen können ihre Fragen frei und natürlichsprachig formulieren, während „Ask The Post AI“ passende Inhalte identifiziert, deren Relevanz bewertet und strukturierte Antworten liefert.
Mit der „Election Needle“ bietet die New York Times seit 2016 ein interaktives Prognose-Tool, das regelmäßig zu Wahlen angeboten wird und in Echtzeit visualisiert, wie wahrscheinlich ein Wahlsieg von Kandidat:innen bei Präsidentschafts-, Midterm- und Kongresswahlen ist. Die Grundlage bilden aktuelle Wahlergebnisse, historische Trends und Modellprognosen.
Im deutschsprachigen Raum nimmt die Süddeutsche Zeitung eine Vorreiterrolle bei RAG-basierten Wahlchats ein. Zur Europawahl 2024 bot die SZ Abonnent:innen erstmals einen solchen Wahlassistenten an, der Fragen zu Wahlprogrammen, Parteien, Kandidat:innen und Sitzverteilungen beantwortet. Grundlage ist eine kuratierte Datenbasis aus SZ-Artikeln, Parteiprogrammen und offiziellen Dokumenten. Mithilfe von RAG generiert der Wahlchats passgenaue Antworten – inklusive Fußnoten und Quellenlinks. Zur Bundestagswahl 2025 wurde der Funktionsumfang des Wahlchats nochmals erweitert und transparenter gemacht.
Was machte den SZ-Wahlchat besonders?
Kurzum: Der SZ-Wahlchat ist ein datenbasiertes Angebot, das Wähler:innen und Interessierten fundierte, transparente und sorgfältig geprüfte Antworten zur jeweiligen Wahl bietet. Dieser KI-Chatbot zeigt, wie Medienhäuser Künstliche Intelligenz in ihrer Wahlberichterstattung einsetzen können, ohne ihre redaktionelle Verantwortung aus der Hand zu geben.
Interaktive Wahl-Chatbots sind ein wirkungsvolles Mittel, um bestehende Inhalte dialogbasiert zugänglich zu machen. Damit RAG-basierte Angebote ihre volle Wirkung entfalten können, sollten sie als niedrigschwellige Interaktionsmöglichkeit auf jeder Newsseite platziert werden. Solche Chatangebote lassen sich nahtlos in bestehende Mobile- und Desktop-Websites integrieren und ermöglichen so eine barrierefreie, intuitive Nutzung. Alternativ können Wahlchats auch als Teil von Paid Services angeboten werden, um Abonnements aufzuwerten und zusätzliche Anreize für zahlende Nutzer:innen zu schaffen.
Erfahrungsgemäß steigern Beispielfragen und Faktboxen das Engagement und die Nutzungsintensität von RAG-basierten Wahl-Chatbots. Beispielfragen können farblich hervorgehoben direkt im Eingabefeld oder darunter platziert werden und erleichtern den Einstieg in den Chat. Faktboxen sind kompakte, strukturierte Infokästen, die faktenbasierte Inhalte zu Wahlthemen liefern und Kontext schaffen. Sie lassen sich mithilfe von RAG-Systemen automatisiert aus dem redaktionellen Umfeld erstellen und aktuell halten. Faktboxen sind ein wirkungsvolles Werkzeug, um verlässliche Informationen und Empfehlungen effizient in den Lesefluss zu integrieren und die Verweildauer zu erhöhen.
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